Julia Zange "Realitätsgewitter" | Buch-Rezension

09 August 2017


Marla ist Anfang 20 und Teil der Hipster-Szene in Berlin. Auf der Suche nach "mehr", zieht sie von Party zu Party und von Mann zu Mann, aber nichts ist genug. Anlässlich des Geburtstages ihrer Oma zieht es sie zurück in die Heimat, in ihr Elternhaus an die Nordsee. Sie spürt, dass da etwas Ungeklärtes in der Luft hängt. Ein Realitätsgewitter erwartet sie, dass sie umwirft und doch den ersten Schritt zum nächsten, neuen Leben markiert.
 

 
Form | Sprache | Bewertung

Episodenhaft beschreibt Julia Zange in den ersten zwei Dritteln des Buches in zwölf kurzen Kapiteln Marlas Leben in Berlin, das sich meist zwischen Nachtleben und ihrer Wohnung voller Einsamkeit abspielt. Zwei, drei Seiten lang sind diese Kapitel, rauschen genauso schnell und bedeutungslos am Leser vorbei wie an der Figur Marla mit doch immer gut skizzierten Figuren.
 
An dieser Stelle wollte ich das Buch weglegen, denn alles schon zehn Mal gelesen oder selbst gesehen. Aber durchhalten lohnt sich, denn die Form ist Teil des Inhalts. So stoisch, gefühlslos und entfremdet wie Marla von einem Ereignis zum nächsten gespült wird, umso gegensätzlicher und intensiver wirken die letzten beiden Kapitel, die den Schnitt markieren. Das sukzessive Aufeinandertreffen mit den einzelnen Mitgliedern der Familie im dreizehnten Kapitel wird zur Tortur. Alte Verletzungen brechen auf, Anschuldigungen und Vorwürfe vergiften das Jetzt und die Vergangenheit und berühren beim Lesen extrem. Angesichts der Brutalität, die hier zum Ausdruck kommt, hat es mir die Sprache verschlagen und mich wirklich erschüttert.
 
"Ich könnte ihr [der Mutter] erzählen von all dem Schmerz in den letzten zwanzig Jahren, ich könnte ihr von der Einsamkeit, von den Albträumen, von den Bauchschmerzen, von der Hilflosigkeit, der Wut, den Schnitten, den Tränen, der Verzweiflung, der Leere, der Sprachlosigkeit, der Taubheit, den Pillen, den Krankheiten, den Fluchten, der Müdigkeit, der Angst, der Schlaflosigkeit erzählen, es würde nichts ändern."
 
Marla verlässt das Elternhaus und reist erst einmal weiter ans Meer. Sie sortiert sich und fährt zurück nach Berlin mit ersten Ahnungen, wie es nun weitergehen könnte. Erst durch diese letzten beiden Kapitel versteht man den inneren Konflikt von Marla und ihre Rastlosigkeit.
 
Die Sprache bleibt durchweg leicht, aber dennoch eindringlich an den richtigen Stellen. Ein bisschen wie Benedict Wells. Den Titel "Realitätsgewitter" finde ich extrem aussagekräftig und beschreibend für das, was Marla in ihrem Elternhaus an verbalen Enttäuschungen erlebt.
 
"Vielleicht sind hier ein paar Dinge wirklich nicht in Ordnung. Warum war mir das damals nicht aufgefallen? Aber wenn das die Realität ist, was bleibt dann noch?"
 
 
Fazit
 
Obwohl ich vieles aus dem Klappentext im Buch nicht wiedergefunden habe (Marla "funktioniert perfekt.", "ganz schön deutsch“), bereue ich diesen Spontankauf mit dem phänomenalen Umschlagdesign definitiv nicht. Auch wenn dieses Buch auf lediglich 150 Seiten "nur" den Wachrüttel-Moment einer jungen Frau beschreibt, die merkt, dass es so nicht mehr weitergehen kann und sich von der Vergangenheit versucht zu befreien, berühren gerade die letzten 50 Seiten so sehr, dass man sich eine Fortsetzung wünscht. Müsste ich den Roman in einem Satz zusammenfassen, würde ich sagen: Ein Buch über das Gefühl, emotional weit entfernt von der eigenen Familie und damit sich selbst zu sein.
"Wir kämpfen jeden Tag ein bisschen gegen das Umknicken, gegen die alten Kräfte und gegen die Ungerechtigkeiten. Gegen das, was der Tag so an Unglücken mit sich bringt. Aber das Leben ist zu kurz, um sich nicht anzustrengen. Wir haben eine Entscheidungsfreiheit, jede Sekunde. Das habe ich jetzt verstanden."

Für C. 
 
Kennt ihr das Buch?
Würdet ihr das Buch lesen?
Habt ihr Empfehlungen für Bücher mit ähnlichem Inhalt?


Alles Liebe und bis bald!
Eure Katharina

2 Kommentare:

  1. Mich interessiert das Buch schon seit langem, aber ich habe es immer noch nicht gekauft. Super, wenn du den Kauf nicht bereut hast :D

    Alles Liebe
    Maddie
    https://daydreamer4you.blogspot.de/

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  2. Hi Maddie,

    ich kann es wirklich nur empfehlen. Ich denke, wenn dir die Zitate gefallen, könnte es etwas für dich sein. Ich persönlich unterstütze den Aufbau-Verlag auch sehr gerne. :)

    Liebe Grüße
    Katharina

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